Ayurveda erleben 8: Das Ende vom Anfang
Wer glaubt, mit dem Rückflug in die Schweiz sei die Mission «Ayurveda» beendet, täuscht sich gewaltig. Eigentlich fängt sie damit erst an. Und: Sie kann Ihre Beziehung gefährden. Oder retten?
Meine Zeit in Kerala neigt sich dem Ende zu. Die Wetterprognosen für Zürich werden zunehmend interessanter. Es sieht schlecht aus: Ein Temperaturunterschied von 30 Grad erwartet mich.
Aber noch bin ich hier. In der heutigen Konsultation wird Doktor Hema K.P. das Geheimnis um mein Dosha lüften und Doktor Nitha Gopalam mir die Ernährungsrichtlinien für Daheim präsentieren.
Das Blutdruckgerät zeigt inzwischen sensationelle 70/120 an. Aber als Frau Doktor Hema K.P. meinen Puls misst, zieht sie eine Augenbraue hoch. Ja: ich war heute morgen mit der Riksha unterwegs. Und ja: ich habe gestern mehrere Interviews geführt, also gearbeitet. «Sorry dafür», murmle ich, als sei es ihr Herzschlag, der pressiert. Jetzt hebt sich auch die zweite Braue von Frau Doktor: «Entschuldigen Sie sich niemals für Ihr Wesen», sagt sie. «Was immer Sie an Stärken und Schwächen mitbekommen haben, ist genau das, was Sie für dieses Leben brauchen.»
Der Online-Test hatte Recht
Klingt doch wunderbar. Das ist der Satz, der mich noch lange Zeit nach der Kur begleiteten wird. Genauso wie das schlechte Gewissen, längst nicht alles umzusetzen, was mir Ayurveda für den Alltag empfiehlt. Denn nun ist es raus: Ich bin Vata mit Anteilen von Pitta. Der Online-Test hatte also Recht.
Das alles täte mir gut
Regelmässigkeit in allen Dingen – Schlafenszeiten, Essenszeiten, Essgewohnheiten.
Den Tag mit einem Glas warmem Wasser beginnen.
Tägliche Bewegung, die nicht zu stark ermüdet: Spazieren, Schwimmen, Yoga oder Velofahren.
Jeden Morgen ein paar Runden Sonnengruss.
Vor dem Schlafen gehen ein Glas warme Milch trinken.
Am Abend keine schweren Mahlzeiten zu mir nehmen.
Bei offenem Fenster schlafen, auch im Winter.
Alkohol und koffeinhaltige Getränke einschränken.
Kälte und Wind meiden (wusst ichs doch!) und am besten in einem ruhigen Wohnort am Stadtrand wohnen.
Flexible Regeln
Mein neues Leben erscheint mir grau und freudlos. Zum Glück ist die Ernährungsberaterin Nitha Gopalam flexibel: «One or two coffees a day are okay», sagt sie und wiegt sanft den Kopf. Wichtiger ist ihr, dass ich viel gekochtes Gemüse und Getreide esse und Junkfood weglasse.
Auch die Nachtessen mit Freunden, die bis spät in die Nacht dauern, will mir Frau Doktor nicht untersagen. Sie rät einfach, danach mindestens drei Stunden wach zu bleiben. Am besten spazierend. Bis zum Sonnengruss um sechs, wärens das dann noch drei Stunden...
Sie ahnen es: Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach. Trotzdem bin ich zurück im Alltag verblüfft, wie viel kleine Änderungen am Lebensstil bewirken. Zum Beispiel die warmen Getränke, regelmässige Yoga-Übungen am Morgen und den Mut, öfters zu sagen: «Sorry, das geht gegen meine Natur.»
Mit dem «falschen» Dosha-Typen zusammen
Was einem aber da in in Kur keiner sagt: Bei genauerem Hinsehen lebt man nicht selten mit einer Partnerin oder einem Partner zusammen, dessen Dosha-Test-Resultat ganz anders aussieht als das eigene. Kapha zum Beispiel. Da steht bei den Regeln für die Alltagsroutine, die geeigneten Ferien (im Norden!) und sogar, was die gesundheitsfördernde Häufigkeit von Sex anbelangt, so ziemlich das Gegenteil drin. Der Autor meines Ayurveda-Ratgeber-Buches weiss das. Er schreibt: «Wenn wir begreifen, warum der andere sich auf eine bestimmte Weise verhält, können wir ihn besser akzeptieren. Der tägliche Kleinkrieg um ein offenes oder geschlossenes Fenster oder ob früh oder spät aufgestanden werden soll, kann dann besser bewältigt werden.» Soso.
Sollte der Haussegen trotzdem wieder einmal schief hängen, darf man laut Nitha Gopalams Ernährungs-Empfehlungen auch einmal zu tief ins Glas schauen. Jedenfalls im Frühling. «No restrictions» steht da bei «Alkohol» im Lenz. Na dann, Prost! Und, wer weiss, vielleicht irgendwann in Kerala. Bei Pillen unter Palmen.