Ayurveda erleben 1: Öl gegen Stress

Ayurveda erleben 1: Öl gegen Stress

Ayurveda ist das älteste Medizinsystem der Welt. Die indische Lehre vom langen Leben heilt nicht nur Krankheiten, sondern gilt als Wundermittel gegen den Stress im Westen. Ein Selbstversuch im Ursprungsland.

Plötzlich traf ich sie überall, in Yogaklassen, an Geburtstagsfesten, an geschäftlichen Meetings: Die Frauen und Männer, die nach den Ferien aussahen, als seien sie in einen Jungbrunnen gefallen. Ayurveda lautet ihr Zauberwort, und sie sagen Dinge wie «innerlich total gereinigt», «voller Energie», «viel weniger gestresst».

Die ersten zwei, drei Mal hört man sich das an – aber irgendwann will man das selber auch. Die Auswahl an Kurorten ist riesig. Meine Wahl fällt auf das Nattika Beach Ayurveda Resort in Kerala. Weil ich Indien kenne und liebe. Und weil ich – wenn schon, denn schon – ans Meer will. Was wird mich darüber hinaus erwarten? «Einläufe», prophezeien Freundinnen, «bittere Pflanzenliköre» und «flüssige Butter in Weingläsern».

Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht so richtig entspannt bin, als ich ins Flugzeug steige. Nach neun Stunden Flug sind die Ängste aber erst einmal vergessen. Ich wohne in einem Bungalow mitten in einem Palmengarten, wenige Meter davor liegt ein endloser Strand, ein paar Fischer holen gerade ihre Netze ein.

Das hier sind keine Ferien..

Aber schnell wird klar: Das hier sind keine Ferien, das hier ist eine Kur. Wenige Stunden nach der Ankunft folgt die erste Konsultation bei einer ayurvedischen Ärztin. Frau Doktor Hema hat freundliche Augen, langes, graumeliertes Haar und behandelt erst seit ein paar Jahren westliche Patienten. Sie hat einen umfangreichen Fragebogen vor sich: Welches Essen ich bevorzuge, will sie wissen. Welches Klima? «Wenn Sie in einen Raum mit fremden Menschen kommen, sprechen Sie oder hören Sie zu?» , fragt sie. Und: «Denken Sie erst und sprechen dann oder sprechen Sie zuerst und denken danach?»

Die Fragen sollen helfen, Doshas zu bestimmen, also herauszufinden, welches der Elemente Feuer, Luft oder Erde am ehesten mein Dasein bestimmt. Auch soll die Anamnese Disbalancen aufzeigen. Frau Doktor sieht mich an, als kenne sie diese längst. «Kopfschmerzen?», fragt sie. «Unruhiger Geist?» Yep. Auch dass mein Iliosakralgelenk manchmal schmerzt, wundert Doktor Hema nicht. «Die Westler und der Sport», sagt sie und schüttelt sanft den Kopf, «too much, too much...»

«Vata» spuckte der Online-Test aus, den ich kurz vor der Abreise ausgefüllt habe. Frau Doktor Hema schweigt. Erst in zwei Wochen will sie sich eine Meinung zu meiner Konstitution gebildet haben. Das hier sagt sie mir schon heute: Mein Vata ist erhöht und das Pitta dazu. Heisst: Ich bin gestresst. Das Blutdruckmessgerät gibt Frau Doktor recht, und auch mein Puls galoppiert mehr als dass er ruhig fliesst. Frau Doktor drückt mir ein kleines Fläschen mit einer dickflüssigen, dunkelbraunen Flüssigkeit in die Hand und schickt mich in die erste Massage. Endlich!